Dienstag, 20. August 2013

Meine Geburt

Das ist zwar nicht der Anfang der Geschichte, aber irgendwo muss man ja starten. Also beginne ich bei meiner Geburt. Ich kam am 9. November 1974 um ca. 5 Uhr morgens in Wien als Privatpatient des Sanatorium Hera im 9. Bezirk zur Welt. So weit, so normal. Nur war das für meine Mutter und mich ein verhängnisvolles Ereignis mit fast letalen Folgen. Bei meiner Mutter war die Nachgeburt mit der Gebärmutter verwachsen, konnte sich somit nicht lösen und auf natürlichem Wege abgehen. Stattdessen stellte sie eine klaffende, stark blutende Wunde dar, durch die meine Mutter sehr viel Blut verlor. Damals war es noch üblich, bei solcherart Komplikationen radikal vorzugehen: Meiner Mutter wurden Gebärmutter und Eierstöcke entfernt. Sie war 30 Jahre alt.

Kürzlich erst habe ich mit einer Hebamme darüber gesprochen und es ist sehr wahrscheinlich, dass dieserart Komplikationen auf eine schlecht durchgeführte (zur Zeit der Durchführung noch illegale) Abtreibung zurückzuführen sind. Doch dazu komme ich (viel) später noch zurück. 

Ich hatte Fruchtwasser in der Lunge und konnte somit nicht atmen. Muss der Körper zu lange ohne Sauerstoff auskommen, können Gehirnschäden auftreten. Wäre das heute wohl kein großes Thema mehr, war aus damaliger Sicht Gefahr in Verzug: Mir wurde am Weg in die Kinderklinik Glanzing im Notarztwagen die Lunge frei gepumpt und ich landete zur Beobachtung und Erholung von der schweren Geburt im Brutkasten - getrennt von der Mutter, für die Dauer von langen 20 Tagen. Damals war es noch nicht üblich, die Babys für längere Zeit aus dem Brutkasten an den Körper zu nehmen, sondern nur mit dem Wichtigsten zu versorgen. Somit konnte ich mich schon daran gewöhnen, was mir viele weitere Jahre blühen würde. Meine Mutter musste sie noch viel mehr von der Geburt erholen, bei ihr war es wirklich ein Kampf ums Überleben. Demnach hätte sie sich auch nicht direkt nach der Geburt um mich kümmern können. Ihre Brüste produzierten auch keine Milch, weswegen sie mich auch nie säugen konnte. Wie die Geburt aus ihrer Sicht verlief und was das Trauma mit ihr machte, darauf komme ich auch noch viel später zurück. Hier geht es primär einmal um meine Sicht und mein Erleben. Erwähnenswert an dieser Stelle ist jedoch, dass das Bonding, so wie es üblicherweise bei der Geburt zwischen Mutter und Neugeborenem stattfindet, in diese Fall nicht passierte.

Am 29. November 1974 gab es dann das erste Aufeinandertreffen zwischen mir und meiner Mutter. Ich wurde nach Hause geholt. Nur passte ich so gar nicht in den (Arbeits-)Alltag meiner Eltern. Zwar nahm sich meine Mutter vor, mit dem Tag meiner Geburt nicht mehr auf den Strich zu gehen, aber die besten Kunden kamen nach Terminvereinbarung zu ihr nach Hause, weil das Geldverdienen auf der Prioritätenliste nun einmal ganz oben stand. Sie hat sich nicht die Frage gestellt, wie ihr Leben umorganisiert werden muss, um den Bedürfnissen eines komplett ausgelieferten, von der Zuwendung anderer Menschen (vorrangig der Mutter) abhängigen Neugeborenen zu entsprechen.

Also suchte sie Rat und wurde fündig bei einer Nachuntersuchung im Sanatorium Hera. Dort empfahl ihr ein Oberarzt eine Einrichtung, von der er wusste, dass Krankenschwestern während Nachtdiensten ihre bis zu zwei Jahre alten Babys unterbrachten. Das war eine private "Baby-Station", die von einer diplomierten Säuglings- und Kinderschwester gemeinsam mit ihrer Tante betrieben wurde. Zu zweit haben sie dort bis zu 15 Null- bis Zweijährige Tag und Nacht betreut. Frau Hartl hatte im selben Haus einen Stock unter der Babystation selber eine Wohnung, in der sie mit ihrer eigenen Familie wohnte und nachtsüber via Babyphon arbeitete, während oben sonst niemand anwesend war. Heute würde so eine Einrichtung sofort angezeigt und vom Jugendamt zugedreht werden. Damals hatte sie die offizielle Lizenz für bis zu 12 Babys. Konzipiert war die Unterbringung so, dass man tageweise oder auch einmal über Nacht das Baby abgeben konnte.

Das war für meine Mutter die Lösung all der mit mir in Zusammenhang stehenden Probleme. Sechseinhalb Wochen nachdem ich 20 Tage alt zu Hause eingezogen war, wurde ich dann am  7. Jänner 1975 zu Frau Hartl gebracht und verbrachte ab sofort die Woche durchgehend dort. Am Freitag Nachmittag wurde ich abgeholt und am Montag Vormittag wieder hingebracht. Das sollte noch weitere 14 Jahre so gehen, durch diverse Institutionen hindurch, egal ob Ferienzeit oder nicht. Am Wochenende wurde ich fesch angezogen und in den Luxuskinderwagen gesteckt, damit man sich mit mir auf der Kärntnerstraße promenierend zeigen konnte. Ich war ein weiteres Ding mit dem sich meine Eltern schmückten, genauso wie mit dem Mercedes, den sie zu dieser Zeit fuhren.

Das ist das erste Foto von mir.
Meine Eltern gingen regelmäßig mit mir zu einem Studiofotografen (Kunde meiner Mutter). 
Das ist einer der vergleichsweise seltenen Momente, in denen meine Mutter selbst Hand anlegte.
Die Visitenkarte von Frau Hartl

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